Die Frau erhebt sich aus ihrem Bett und in der Hitze bleibt ihre Vergangenheit wie in Schwaden stehen: die Vergangenheit eines versteckten jüdischen Kindes. Der Thanksgiving-Truthahn verschluckt das Schwarze Amen ihres Mannes, der für die Kinder Palästinas betet, während am anderen Ende des Tisches mit einem weißen Amen dem Präsidenten gedankt wird. Der jüdisch-orthodox bekennende Sohn nennt seine Mutter Closet-Jew. Gojische Partner*innen der zweitverheirateten Überleben­den eignen sich deren »Wiedergutmachung« an, und schließlich weigert sich der russische Rabbiner, das Vorkriegsgrab in Berlin-Weißensee zurückzugeben.

“Esther Dischereits Erzählung führt nicht nur assoziativ durch das dunkle 20. Jahrhundert, sondern auch von Berlin in die halbe Welt und wieder zurück. Gleichermaßen leichtfüßig wie erschütternd führt die Berliner Lyrikerin, Dramaturgin und Publizistin, halb dokumentarisch und halb fiktional, das Nachleben von Shoa-Überlebenden vor Augen, das das jüdische Leben bis heute weltweit prägt.” – Thomas Hummitzsch, tip Berlin

Esther Dischereit, geboren 1952 in Heppenheim, lebt heute in Berlin und Wien. Seit 1985 ist sie publizistisch tätig, schreibt Prosa, Lyrik und Essays und ist Autorin von Theater- und Hörstücken. Sie ist eine der wichtigsten literarischen Stimmen unter den Nachkommen der Shoa-Überlebenden in Deutschland. 2009 erhielt sie den Erich-Fried-Preis. Als Professorin lehrte sie an der Universität für angewandte Kunst in Wien, 2019 als DAAD Chair in Contemporary ­Poetics an der New York University.